Schiedsrichter Göntgen nimmt immer noch jeden Tag Schmerzmittel
26. July 2023
Mittlerweile ist der deutsche Schiedsrichter Ben Göntgen wieder im Einsatz. Im Juni in Eindhoven während der Pro League kam er sogar zu seinen ersten Einsätzen auf internationaler Ebene. Wie anders war das Ende Januar, als er im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Indien einen Ball ins Gesicht bekam und im Krankenhaus landete. Ein Blick zurück.
Der Schiedsrichter muss während des Telefongesprächs fast sofort lachen. Denn egal wie oft er in Indien war, er hörte immer das Gleiche aus seiner Umgebung. „Viel Spaß, aber lande nicht im Krankenhaus.“ Der Moment war Anfang dieses Jahres da, als er im Viertelfinale der Weltmeisterschaft (Niederlande gegen Südkorea) einen Ball ins Gesicht bekam. Ein Schlenzer, der über den Schläger von Lars Balks direkt ins Gesicht des Deutschen abgelenkt wurde.
Foto: William Vernes
Der fatale Moment. Schiedsrichter Ben Göntgen zusammen mit dem holländischen Teamarzt Stijn Geraets.
Göntgen wurde sofort vom niederländischen Arzt Stijn Geraets geholfen. Er verschwand in den Katakomben des Kalinga-Stadions in Bhubaneswar und wurde sofort mit einem Krankenwagen in ein privates Krankenhaus gebracht. Dort blieb er zehn Tage. Länger als das Turnier selbst dauerte.
Er blickte noch einmal auf die Bilder
Unmittelbar nachdem er wegen seiner Verletzungen operiert worden war, öffnete er sein Handy. Neben mehr als zweihundert Nachrichten sah er auch den Video-Ausschnitt vorbeiziehen. „Ich habe beschlossen, zurückzublicken. Einmal. Danach nie wieder“, sagt er.
Ich kann mich an nichts mehr von diesem Moment erinnern. Ich habe den Ball erst realisiert, als er fünf Zentimeter von meinem Kopf entfernt war. Ich dachte nur: Scheiße, das wird weh tun.
Ben Göntgen über seinen Unfall
,,Was als nächstes geschah, ist verschwommen. Als ich merkte, dass mein Ohrhörer abgenommen wurde, wusste ich, dass es erledigt war. Und ich habe den Schmerz gespürt.“ In Indien wurde er noch am selben Abend operiert. Für seinen „gebrochenen“ Wangenknochen wurde eine Platte angebracht. Ein Rückflug nach Deutschland war noch nicht erlaubt.
Doch als er zwei Wochen später endlich nach Hause kam, stellte sich heraus, dass der Schiedsrichter überhaupt keinen gebrochenen Wangenknochen hatte. Sein Oberkiefer hingegen schon. Sogar zertrümmert.
Kein gebrochener Wangenknochen, sondern Oberkiefer
„Die deutschen Ärzte haben alles zunichte gemacht, was sie in Indien getan haben“, erinnert er sich. „Sie haben alle gebrochenen Knochenstücke aus meinem Oberkiefer entfernt, aber die Nerven waren bereits betroffen. Ich konnte meine rechte Gesichtshälfte überhaupt nicht bewegen. Und kein Arzt konnte mir sagen, ob es wiederkommen würde.“ Das Gefühl kommt nun langsam zurück. Und damit geht schreckliches Leid einher. Nervenschmerzen.
Ich muss Schmerzmittel nehmen, um den Tag zu überstehen. Aufgrund der Schmerzen konnte ich eine Zeit lang weder arbeiten noch schlafen. Ich nehme jetzt immer noch Medikamente.
Ben Göntgen
Doch egal wie schlimm und schwer der Unfall und die Rehabilitation sind, Göntgen ist wieder auf dem Feld. Doch er selbst bezweifelte das eine Zeit lang. „Als ich zum ersten Mal wieder auf einem Hockeyfeld war, nur als Zuschauer, fühlte es sich sehr seltsam an. Ich fragte mich wirklich, ob ich es noch wollte. Ob ich es wagen würde. Aber ich hatte in letzter Zeit so viel Zeit zum Nachdenken. Mir ist klar, dass es wirklich reines Pech war. Ich habe keine Angst."
Also Pech gehabt. Hätte er den Ball im Auge gehabt, wäre er höchstwahrscheinlich blind gewesen. Wenn er nur ein wenig gesunken wäre, wären ihm alle Zähne aus dem Mund geflogen. Lachend: „Vielleicht hatte ich doch Glück.“
Schiedsrichter mit Maske?
„Ich brauche keine Maske“ auf die Frage, ob Schiedsrichter nicht künftig besser geschützt werden sollten, gibt er sich resolut. „Auf keinen Fall“, ertönt es auf der anderen Seite des Telefons. „Ein ähnlicher Unfall ereignete sich zuletzt im Jahr 2003. Es kann passieren. Besonders sollte man wissen, dass es sich bei der Stelle an der Strafecke um eine gefährliche Position handelt. Da muss man immer scharf bleiben. Ich brauche keine Maske. Wie zum Teufel soll ich dann pfeifen?
Göntgen kehrte im Juni auf die internationale Ebene zurück, nachdem er einige Spiele in der Hockey-Bundesliga gepfiffen hatte. „Das war ein sehr emotionaler Moment. Ich fand es großartig, dass es auch ein Spiel der niederländischen Mannschaft war. Genau wie im Januar. Sie haben mir in letzter Zeit viele Nachrichten geschickt.
Das größte Kompliment, das ich nach meinem ersten Spiel bekam, war, dass es schien, als wäre ich nie weg gewesen.
Ben Göntgen
Europameisterschaft pfeifen für seinen Vater
Niemand hätte ahnen können, dass der Deutsche so bald zurückkehren würde. Tatsächlich fragten sich die Ärzte selbst, ob er es im August zur Europameisterschaft schaffen würde. „Das hat mich motiviert. Und hat mich mental stark gemacht. Ich wollte die Europameisterschaft gewinnen. Das ist für mich das erste Großereignis in meinem eigenen Land. Ich war 2006 während der Fußballweltmeisterschaft in Mönchengladbach. Zusammen mit meinem Vater schaute ich beim Eishockey und den Schiedsrichtern zu. Dann haben wir vereinbart, dass auch ich eines Tages dort sein würde. In vier Wochen ist es soweit.“ Göntgen wird sich im Oktober erneut einer Operation unterziehen. Seine Wange wird etwas mehr Volumen bekommen und seine Nerven werden noch einmal untersucht. Hoffentlich kann er in Zukunft wieder ganz normal lächeln. Aber darüber gibt es keine Gewissheit. Auch auf die Schmerzmittel muss er vorerst nicht verzichten. Aber er steht immer noch mit dem breitesten Lächeln auf dem Hockeyfeld. Die Olympischen Spiele sind noch ein Jahr entfernt. Ich tue alles, um fit zu sein und ausgewählt zu werden. Das wäre das perfekte Ende, oder? Ich hoffe, ich bin da.“
Quelle Interview: Hockey.nl
Fotos: Dirk Markgraf, William Vernes